Übergriffig

„Es tut mir leid, wenn ich vielleicht gefühlt ein bisschen übergriffig war!“, sagte ich zu den Eltern, nachdem sie ihr Mädchen nun noch einmal beim Bestatter angeschaut und berührt und einfach noch Zeit mit ihr verbracht hatten. Auch Oma und Opa waren dabei und unendlich berührt und voller Liebe für ihre Enkeltochter.

Ein paar Tage zuvor waren die Eltern bei uns in der Beratungsstelle und fest davon überzeugt, dass sie ihre Tochter auf keinen Fall mehr sehen wollten. Sie wollten einfach nach vorne schauen. Eine ganz normale Reaktion zunächst, die wir von vielen Eltern kennen. In den Gesprächen ist es dann meine Aufgabe, die Grenzen auszutesten und mich so nah wie möglich an dieser Grenze entlangzuhangeln. Ich mache das vom Grunde her nicht gerne, weil ich grossen Respekt und eine enorme Wertschätzung für die Familien habe. Aber ich weiss auch aus meiner langjährigen Erfahrung, wie dankbar die Eltern im Nachgang sind, wenn sie ihre Kinder nochmal sehen, um so einfach die Möglichkeit zu haben, etwas mehr begreifen zu können, dass sie Mama und Papa dieses so geliebten Kindes sind.

Natürlich müssen wir immer einen Mittelweg finden und dürfen Eltern nicht zwingen. Aber es lohnt sich immer wieder, auch den Grenzweg auszuprobieren🦋

Foto: Simone Lombardi