Den Tod überwunden

„Wissen Sie, Frau Rutz, ich habe den Tod meiner Tochter schon überwunden!“, erzählte mir Herr Meisel im Beratungsgespräch.
Seine Tochter war vor vier Wochen in der 28. Schwangerschaftswoche verstorben. Er und seine Frau hatten sich viel Zeit genommen nach der Geburt. Sie hatten die kleine Maja lange bei sich, haben sie gehalten, angeschaut, gespürt und gefühlt - ganz viel Liebe und Trauer - geweint und dankbar gelächelt, weil sie so schön war. Es war eine ganz intensive Zeit - vor allem auf der emotionalen Ebene. Sie haben sie beim Bestatter besucht und eine ganz liebevolle Beerdigung geplant und zusammen mit ihren engsten Freunden erlebt.
Seit einer Woche geht Herr Meisel nun wieder arbeiten. In der Firma hat man ihm die Zeit gegeben, aber ist nun auch sehr froh, dass er wieder da ist! Vieles ist liegengeblieben und er ist ein gefragter Mann.

Ich darf ihm erklären, dass ich aus der Erfahrung weiss, dass diese Erkenntnis „Ich habe den Tod meiner Tochter überwunden!“ eine reine Kopfentscheidung ist. Er kann emotional noch gar nicht überwunden haben, was dort noch gar nicht wirklich verstanden wurde. Es braucht viel Zeit, bis wir auf der emotionalen Ebene den Tod unseres Kindes verstehen.
Herr Meisel ist diese intensive, emotionale Arbeit nicht gewohnt und sie hat ihm viel abverlangt. Da tut es gut, einmal wieder Kontrolle zu haben und die Gefühle jetzt erst mal in die Schranken zu weisen und sich der Arbeit zuzuwenden. Dort hat er das Gefühl, etwas schaffen zu können. Produktiv sein zu können. Sinn zu finden. Auch das ist am Ende oftmals sehr anstrengend, aber das Trauern bringt gefühlt erst mal kein Ergebnis: seine Tochter bleibt tot, auch wenn er noch soviel trauert.
Seine rationale Entscheidung ist erst einmal total ok. Er möchte wieder Struktur schaffen - auch für seine Frau. Ein bisschen Normalität haben.
Wichtig ist, dass ich ihm diese Information geben durfte. Und als wir darüber sprachen, lächelte er für einen Moment und sagte dann: „Ja, Frau Rutz, ich hatte mir schon sowas gedacht! Ich werde es im Auge behalten!“